Samstag, 13. Januar 2007

zweitens

‚Dummes Arschloch, was für ein Penner war das?’, denkt er sich. Seine Bahn fährt los, ohne ihn. Er presst das Taschentuch auf die Wunde des alten Mannes. Sekunden vielleicht auch Minuten später löst ein Sanitäter ihn ab, wie lang er dort saß weiss er nicht. Er will nicht zur Arbeit, er verlässt den Bahnhof und schlendert die Straße entlang. Es ist kurz nach acht am Morgen, die Schatten sind lang, der Himmel blau und er besorgt: was ist mit dem alten Mann und wie geht es ihm? Die Sonne blendet ihn, er sieht seinen Atem, er wartet und rennt los, er rennt über die Straße, die Autos hupen. Er will zurück, zurück zum Bahnhof. Als er ankommt ist der Krankenwagen bereits weg und zu welchen Krankenhaus er fährt, das weiss keiner und es interessiert auch niemanden. Wieder verlässt er den Bahnhof und steht wieder an der Straße, als er auf der anderen Straßenseite eine Telefonzelle sieht, er geht hin und ruft die Auskunft an, die ihm den Weg zum nächsten Krankenhaus beschreiben soll.

Das Krankenhaus ist hässlich, es ist quadratisch, es ist grau und es ist ein Krankenhaus. Er mag keine Krankenhäuser, doch er mag die Vorstellung, dass es dem alten Mann hilft, und dazu sind Krankenhäuser da. Die Rezeption ist verlassen, er klingelt und ruft, doch es ist niemand da. Nach fünf Minuten sieht er eine Krankenschwester den Flug entlang laufen, er fragt sie, ob ein alter Mann mit Kopfverletzung eingeliefert worden ist. Es war das richtige Krankenhaus, der Alte Mann wurde hier hingebracht, doch die Krankenschwester guckt ihn betrübt an und das macht ihm Angst.

„Sind sie ein Angehöriger?“, fragt die Schwester.
Er verneint die Frage und antwortet ihr, „Ich habe ihm an der Bahnstation versorgt bis die Sanitäter kamen. Was ist mit ihm? Geht es ihm gut? Können sie mir wenigstens das sagen?“
“Der alte Mann ist im OP: er hat einen Gehirntumor. Der Tumor ist dem Chefarzt bei der Computer-Tomographie aufgefallen, die Wunde ist nicht schlimm, der Tumor war aber anscheint bisweilen unbemerkt.“, sagt sie. Das dumme Arschloch, dass ihn umgestoßen hat, hat ihm sein Leben gerettet?
„Mehr kann ich ihnen leider nicht sagen, wenn sie kein Angehöriger sind, nur soviel, der Sturz hat dem Mann sein Leben gerettet oder wird es ihm hoffentlich retten. Ich muss jetzt gehen, ich muss mich beeilen“, sagt die Schwester und ist weg.

Er verlässt das Krankenhaus, er ist verwirrt, doch er weiß: er muss das Arschloch finden und ihm sagen, was er getan hat. Er muss ihm sagen, dass er einem Menschen das Leben gerettet hat, hoffentlich gerettet hat. Nur wo ist er und wie findet man einen Unbekannten?

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